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Politiker und Techniker im Umgang mit Klimakatastrophen

Ante scriptum: Meinen folgenden Artikel hatte ich am 28. August 2019 mit der Empfehlung für die nächste Ausgabe vom "Behörden Spiegel" an die Redaktion übersandt, diese Tatsache wurde im nächsten Heft immerhin erwähnt, im Behörden Spiegel / September 2019, Seite 46, im Bericht vom Katastrophenschutzkongress: „Globale Erwärmung fordert alle Akteure" mit der Notiz:

„Der diesjährige Katastrophenschutzkongress des Behörden Spiegel fand auch bei Experten und anderen Medien Anklang. So erreichte die Redaktion eine umfangreiche Stellungnahme des „Netzwerks Zukunft“. In dieser wurde die Veranstaltung ausgiebig gelobt. Der Verein wurde vom Zukunftsforscher Robert Jungk gegründet.“

Weitere Reaktionen wurden erwähnt, so vom BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz), beim ARD in der Tagesschau usw.

Ziel meines behutsamen Artikels war meine Anregung („Der nächste Kongress könnte …“) im Fazit am Ende des Artikels in die politische Diskussion zu bringen. Im Bewusstsein ist, was die Behörden in der Tat, also in ihren Taten mit den unvermeidlich begrenzten Mitteln, ich meine vorbildlich leisten – sprich leisten können, solange sich die Katastrophen an begrenzte Zerstörung halten. Wirklich großflächige, zugleich intensive Zerstörungen werden womöglich „allzu-bald“ ein Thema werden. Man kann versuchen, dafür „Improvisationen“ etwas gezielter als bisher vorbereiten, zumindest Forschung dafür unterstützen. Dann würden die schwer erträglichen Phantasien nicht nur den Horror-Romanen, Verschwörungs-Aktivisten und drastischen Sci-Fi-Spielen am PC überlassen.

Politiker und Techniker im Umgang mit Klimakatastrophen

Die Experten erfüllten auf dem 15. Europäischen Katastrophenschutzkongress des "Behörden Spiegel" am 27./28. August 2019 die Erwartungen der Teilnehmer. Es wurde über eine Fülle von Erfahrungen im Umgang mit jenen neuen Herausforderungen berichtet, die der Klimawandel bereits jetzt mit sich bringt oder andeutet.

Die begleitende Ausstellung zeigte den Einsatz moderner Technik, sei es für Messungen bei speziellen Gefahren, für anschauliche Datenpräsentationen, oder zu grenzübergreifender Koordination von Behörden.

Viele Gespräche waren für mich faszinierend. Nachdem ich 1964-1981 die Brauchbarkeit damaliger Bunker für den Fall des Atomkrieges untersucht hatte, durfte ich nun bei der Firma BSSD (Bunker-Schutzraum-Systeme-Deutschland) sehen und diskutieren, was mit deutscher Ingenieurskunst heute machbar ist und für verschiedene Zwecke genutzt wird.

Geradezu vorbildlich auch bei Politik und Behörden: Das Bewusstsein für sich bereits abzeichnende Veränderungen zeigt eine dynamische Entwicklung, die Einschätzung eigener Schutzvorkehrungen ist für vieles real, der pädagogische Wert für die Teilnehmer offensichtlich, die Stimmung gut.

Aber wieso hat mich als Physiker das alles dennoch nicht beruhigt? Ich konnte immerhin jene Verantwortungsbereitschaft zur Katastrophenvorsorge beobachten, die ich mir jahrzehntelang von Politikern und Amtsträgern gewünscht hatte! Und Experten aller Art sind in die derzeit bestehenden politischen Vorgaben eingebunden.

Trotzdem, Techniker wollen mehr. Sie sind gewohnt gemäß gültiger Vorschriften immer "auf der sicheren Seite" zu sein: Der Architekt baut das Haus für die am Ort kaum erwartbaren Erdbeben, der Maschinenbauer baut das Schiff für extrem selten auftretende Stürme. Sowas beruhigt, die Vorschriften sind richtig, das Resultat oft wertvoll. Wie Behörden lernen können, zeigte Helmut Schmidt als Senator der Polizeibehörde in Hamburg. Er wurde bei der Sturmflut 1962 zum Krisenmanager und ein Fazit war: Dort gehören Schutzräume nicht in den Keller, sondern unters Dach!

Bei Klimakatastrophen ist das schwieriger. Bei mehreren Veränderungen (Gletscher, Dürre, Plastik usw.) sind Gefährdungen neuen Ausmaßes absehbar, deren Schadens-Wahrscheinlichkeit zunächst vage bleibt. Allerdings kann deren Kombination sich erkennbar existenzgefährdend auswirken und grundlegend neue Vorbereitungen nahelegen. Politisch ist sowas umstritten, als Techniker empfehle ich, wenigstens Maßnahmen gemäß  großer Risiken mit zu überlegen. Ich möchte dies vorsichtig mit zwei Beispielen andeuten:

2019 erreichte die Hitze in Europa Werte von 35-45 Grad Celsius, was in Frankreich zu Todesfällen und Verzweiflung vor allem älterer Menschen führte. Auf eine Wiederholung solcher Belastungen haben sich Behörden, Krankenhäuser usw. inzwischen besser eingestellt. Aber sobald in nicht ferner Zukunft weit weniger Sonnenlicht von Planet Erde in den Weltraum zurückreflektiert wird, kann es schlimmer werden. Was also tun, wenn es 50 oder 60 Grad werden? Nanu? Ich sage als Techniker keineswegs, das ich dies erwarte - aber durchaus, dass ich es für möglich halten muss. Ich empfehle, die Verantwortlichen sollten versuchen, sich ein stückweit über bekannte Gefahren hinaus auf neue Aufgaben einzustellen. Viel Phantasie braucht man nicht. In Afrika und einigen asiatischen Großstädten deutet sich bereits an, wie grundlegend sich die Lebensbedingungen verändern können. Dort geht es um Lebensgefahren nicht mehr für hunderte, sondern für Millionen Menschen.

In Europa kann der gewohnt allmähliche Klimawandel durch rasch eintretende Klimakatastrophen abgelöst werden. Für Behörden stellen sich dann Fragen wie: Was für eine Landwirtschaft könnte dann noch möglich sein, was muss ich als Staat dazu erforschen lassen? Kann ich die üblichen Vorkehrungen (wegen Klimawandel) pragmatisch sinnvoll erweitern? Das ist ungewohnt, „politisch“ eine Zumutung. Die deutete Christoph Flury bei der Begrüßung der Gäste schon mal symbolisch an, als er ein Bild vom Matterhorn „ohne Horn“ zeigte.

Der Tenor des Kongresses war, Erprobtes und Bewährtes zu zeigen. Vorbildlich war dafür der Bericht des rumänischen Staatssekretärs Raed Arafat über den Umgang mit üblichen lokalen Katastrophen und der Rettung von wenigen schwerverletzten Opfern. Die Behörden wuchsen pragmatisch über sich hinaus. Ich fragte nach: Bei durchaus absehbaren, weitaus umfangreicheren Katastrophen würden auch die Reaktionen von Behörden zu „einer Katastrophe“, ähnlich wie die mangels Krankenhäusern 1945 in Hiroshima im Freien improvisierten „Lazaretts“: Dort wo eine „Erste Hilfe“ gelingt, etwa ein Blutverlust für ein paar Stunden abgebunden werden kann, fehlt dann jegliche „Zweite Hilfe“, und das ist tödlich.

Wie sehen größere Risiken in Rumänien aus? Beispielsweise macht die Aufstellung von Abfangraketen in Rumänien das Land in einer Eskalation zum "target", zum Ziel von schweren, auch atomaren Angriffen. Dies mag im Rahmen der NATO höchst verantwortlich / oder bedauernswert falsch sein, und dieses schwierige Problem kann hier nicht mit behandelt werden. Eines aber sollte klar sein: Katastrophen wie eine großflächige Verstrahlung (auch zivil möglich wegen des Kernkraftwerkes Cernavoda in Rumänien) gehören beim Katastrophenschutz mit dazu. Falsche Reaktionen von (politisch falsch gesteuerten) Behörden wie zu Tschernobyl haben den Schaden dort nicht begrenzt, sondern weit über das Vermeidbare hinaus erhöht.

Was ist real, übertreibe, dramatisiere, überfordere ich? Vorbildlich real (im eigenen Interesse) waren zu Beginn des Baus von Atomreaktoren die Versicherungsgesellschaften – trotz damals üblichem Glauben an sehr hohe Sicherheit der Kraftwerke: Sie ließen sich über Franz Josef Strauß amtlich garantieren, dass das Haftpflicht-Risiko auf etwa eine halbe Milliarde DM nach oben begrenzt wird. Das Manager-Magazin meinte jetzt, mehr als das Hundertfache wäre real. Interessant wäre heute zum Beispiel eine Ermittlung, was alles derzeit nicht versichert wird, und warum. Dann könnte man abschätzen, inwieweit in so einem Kontext mehr als „katastrophaler Schutz“, mit den uns verfügbaren Mitteln, machbar - und im Katastrophenfall höchst willkommen - wäre.

Fazit: Der Kongress hat behandelt, was mit moderner Organisation vorbildlich machbar ist. Der nächste Kongress könnte mit einbeziehen, was mit kluger Improvisation an Schadenslinderung – auch mitten in einer großflächigen Katastrophe – an Hilfe durchaus willkommen sein kann. Auch zu solchen Herausforderungen gibt es auswertbare Erfahrungen - zu den Auswirkungen in Hiroshima und Nagasaki waren die Untersuchungen jahrelang geheim - bevor sie verantwortungsvoll herausgegeben wurden.
 
Dr. rer. nat. Philipp Sonntag / Netzwerk Zukunft

Post scriptum, kurz zum "Netzwerk Zukunft": Der Verein wurde gegründet vom Zukunftsforscher Robert Jungk. Er schrieb das Buch "Atomstaat" aus Sorge über angesichts der hohen Gefahr ausufernde Kontrollbehörden. Er würde heute wohl in Ohnmacht fallen, was die technischen Mittel aus dem früheren "Datenschutz" gemacht haben: Als aufrechter Demokrat würde er sogleich bemerken: Demokratie ist nach wie vor in hohem Verantwortungs-Bewusstsein möglich und präsent.

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