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Der zukünftige Charakter der Menschen

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Vor hundert Jahren hätte ein tüchtiger Zukunftsforscher vielleicht technisch und wirtschaftlich einige Entwicklungen vorausahnen können. Aber was das heute für den „sozial lebendigen“ Menschen bedeutet, wäre damals als „unsäglich“ erschienen, so etwa:

  • Wohlstand ist global für alle machbar, aber die Schere von arm und reich wird laufend krasser;
  • Kriegswaffen gibt es in bedrohlichen Mengen, aber in Europa interessiert sich kaum jemand für Krieg, oder auch nur Rüstungskontrolle;
  • Fortschritte bei Medizin und Hygiene sind enorm, aber eine Pandemie schädigt als Erstes einige „moderne“ Länder besonders hart – und zwar in Abhängigkeit vom Verhalten der Bevölkerung und Behörden.

Technik erweitert die Optionen. Wie die Zukunft daraus gestaltet wird, entscheidet der Charakter der Menschen. Er ist kaum voraussehbar – allerdings stark beeinflussbar: Entscheidend vor allem in der Kindheit. Danach gibt es zwar psychologisch ausgeklügelte Prägungen für das Verhalten in bestimmten Situationen, etwa für „Gehorsam“ in Beruf oder Krieg – aber das wirkt jeweils nur im Rahmen der früher gelegten Grundlagen. Das Resultat kann in speziellen Situationen krasse Formen annehmen. So konnten bei den Nazis aus scheinbar friedlichen Kindern später folgsame Massenmörder werden – aber wie friedlich, wie gehorsam, auch wie opportunistisch waren sie in ihrer Kindheit wirklich geworden? Und wieso verhielten sich ähnlich aufgewachsene Kinder aus anderen Regionen völlig anders? Das ist komplex und die Zukunft lässt sich daraus nicht ableiten.

Immerhin vermuten lässt sich, dass viel globale Unruhe mit auf den Prägungen der früheren Kinder beruht. Kinder brauchen Geborgenheit, Orientierung und Zuversicht. Global wachsen viele Kinder in einem gestörten, für sie erschütternden Umfeld auf. Das hat Folgen.

In technisch modernen Staaten ist jegliche Zukunft unsicher. Was bereitet besonders schlecht darauf vor? Für Kinder beginnt „ihre Welt“ mit ihrer Familie. Bei einer Scheidung bricht für Kinder sozusagen die „eine Hälfte der Gesellschaft“, sprich Familie, zusammen und sie werden emotional gestört bis hilflos. Die „andere Hälfte der Gesellschaft“ besteht aus vielen Gruppen (Kindergarten, Schule, Internet, Freizeitgruppen), in denen sie allerlei für ihre Zukunft wichtige Optionen lernen, soweit solche Gruppen der Moderne angemessen flexibel sind. Vergleichsweise weniger gefährdet ist zumeist die Zukunft der Eltern, die aus einer Scheidung heraus neue, bessere Optionen erwarten.

Eltern beginnen mit dem guten Vorsatz: „Meine Familie will ich mit Leidenschaft aufbauen – und natürlich treu sein“. Jedoch bei allem was auf uns einstürmt – die Gesellschaft ändert sich tausendmal schneller als unsere Gene – gelingt das Vorhaben nur bedingt. Für die Zukunft ist wichtig: Zu wem, und mit welchem Verhalten soll(t)en wir treu sein? In den sich weltweit rasch entwickelnden Gesellschaften gilt: Seitensprünge sind oft ein beflügelnder Tanz – jedoch mit jeder Menge Stolpersteinen für die Familie.

Die Kinder spüren die Folgen von Belastungen in jedem Fall stark. Sie wollen und brauchen unbedingt beides, Geborgenheit und erlernte Optionen. Deshalb sollte für die Eltern in einer modernen Gesellschaft eine andere Art von Treue in den Vordergrund rücken, nämlich:

Das Treu sein, vor allem zu unseren Kindern!

Das ist ungewohnt, die Konsequenzen verändern das eigene Verhalten nachhaltig: Bei Scheidungen sollten dann vor allem die Kinder mit entscheiden. Das ist in der Praxis zunehmend der Fall. Sollte eine Familie wirklich vollkommen zerrüttet sein, verstehen das auch die Kinder – aber Zerrüttung sollte zur Ausnahme werden. Ideal wäre eine Form des familiären Zusammenhalts, die Scheidungen überflüssig macht. Wird der Zusammenhalt der Familie zur obersten Priorität, könnten beispielsweise Seitensprünge für alle (!) weniger belastend sein - teils sogar entlastend. Vorübergehendes „Fremdgehen“ eines Partners (oder beider Partner …) hätte bei zunehmender Akzeptanz nicht mehr die heute gewohnte Aufmerksamkeit. Für Kinder würde das Leben enorm entlastet, die Zukunft vielversprechender.

So ein Gesellschaftsmodell kann auch für Gruppen sinnvoll wirken. Wenn in einer Schule, besonders in einem Internat, Lehrer und Betreuer emotional freier werden als bisher, könnte der Missbrauch von Kindern wirksam eingeschränkt werden. Vermutlich wird eines Tages sogar das Zölibat abgeschafft ...

Zukunft erfordert laufende Abwägung. Es gibt heute noch in manchen Religionen Relikte, die ehemals Familien schützen sollten. So war bei Epidemien von Geschlechtskrankheiten Keuschheit eine Tugend. Keuschheit war auch bei bestimmten Gesellschaftsformen eine Tugend, soweit die junge Tochter nicht von „irgendjemand“ schwanger werden sollte. Heute gibt es andere Schutzmöglichkeiten.

Kann koscheres Essen eine Tugend sein? Bei Epidemien von Krankheiten, die von Schweinen auf Menschen übertragen wurden, war ehemals koscher essen für den Fortbestand einer Gesellschaft sinnvoll. In unserer Zeit genügte bei der „Schweinegrippe“ (H1N1-Pandemie 2009/2010) stärkere Aufmerksamkeit der Virologen. Das bedeutet, Legenden können sich kulturell verfestigen, sie sind aber als Handlungsanweisung heute häufig überholt. Wenn im Kloster ein begabter Mönch sich in religiöse Ekstase versetzen konnte und sich wenig für Frauen interessierte, indem er stundenlang an einer Mauer Yoga praktizierte, war das seine Entscheidung. Wenn aber 300 Jahre später ein Mönch veranlasst wurde, dies nachzuahmen und täglich eine Stunde eine Mauer anstarrte, dann – so habe ich beobachtet – konnte das deutlich zu Verblödung führen.

Vergleichbar heftig wie in der Religion wirkt ein starrer Glauben bei den Ökonomen. Dort fehlt oft jegliche „Kritik der politischen Vernunft“ wie von Foucault gefordert. So scheint Reichtum ziemlich immun gegen Corona-Attacken zu sein. Vor kurzem noch unvorstellbar, werden wirtschafts-politisch mal locker hunderte Milliarden Euro vom Staat bereitgestellt – wegen Versäumnissen bei der Vorsorge, die unbestraft bleiben. Beispielsweise kann die die Gewinn-Orientierung der Manager eines Krankenhauses die elementare Vorsorge für Katastrophen minimieren. Auf einmal sieht man, dass für sinnvolle Gesellschaftsgestaltung durchaus Geld vorhanden ist, dass durchaus zielführende Gesetze und Vorschriften möglich wären.

Für alleinerziehende Frauen hingegen gibt es vom Staat magere Almosen. Das ist nicht zufällig. Die vielen Stoßseufzer der ungeschützten Frauen sprechen Bände. So von „Ana“ (Tagesspiegel 21. 3. 2020, S. MB3): „Seit fünf Jahren versuche ich eigentlich nur, das Leben in den Griff zu kriegen. Nach der Trennung vom Vater meines Sohnes, der seither verschwunden ist …“. Oder von „Anonym“: „Es war eine Affäre mit Potenzial für mehr – nur dass der Mann sich dann doch gegen eine Beziehung und Vaterrolle entschieden hat. Da war ich im achten Monat schwanger … Wenn etwas dazwischenkommt, bricht das System zusammen.“ Fazit: Frauen sind reich, Männer sind arm – an Liebe. Die Kinder können das zumeist klar bestätigen.

No future? Nachts um zwei Uhr, hellwach, dürfen Ökonom-Innen in Zukunftsphantasien schwelgen, etwa so: „Indem unsere Gesellschaft das private Eigentum deckeln würde, auf etwa eine Million Euro für jeden, und in diese, soziale Richtung die Progression ganz real in die Zukunft hinein wirken würde, wäre mehr Geld für die wirklichen Bedürfnisse von Kindern und Frauen da. Womöglich hätten in so einer Zukunft Männer sogar mehr Zeit für die Familie.“

Leider sind zu viele Männer gegen soziale Veränderungen immun. Sie finden Mini-Löhne und Maxi-Gewinne „normal“. Corona-Viren können perfekte und schäbige Hygiene gut auseinanderhalten. Übrigens gab es in China mal eine Zeit, in der jeder, der einen gewissen Reichtum besaß, verdächtig war und alsbald überprüft wurde: Strafen gab es bis hin zum Tod. Besser wären geläuterte Manager, die sich selbst mehr auf Familie und Gemeinwohl konzentrieren würden, als auf Gewinnmaximierung. Auch da sollten Kinder mit entscheiden dürfen, am besten unterstützt von Zukunfts-Werkstätten: „Was ist in einer zivilisierten Gesellschaft angemessen? Was wäre eine passende Maßnahme, die letztlich der Familie helfen kann?“

Im Grunde geht es doch „einfach“ darum, wie Eltern und andere liebevoll auf Kinder eingehen können: Welche Form der Zuwendung, welche Art von Körperkontakt mit seelischer Zuwendung brauchen Kinder? Allerdings kommen sich liebevolle bemühende Eltern häufig aus einer überholten Vergangenheit und sollen nun ihre Kinder auf eine Zukunft vorbereiten, die sie nur vage erahnen.

Moderne Technik wird solche Eltern oft mehr verunsichern als unterstützen. Technik ist in den Familien allgegenwärtig, sei es in Smartphones, mit automatisiertem Spielzeug, mit zu Kindern sprechenden Geräten usw. So eine Welt wirkt womöglich auf Kinder mehr „maschinlich“ als menschlich.

Was für Hoffnung gibt es? Kann denn gemäß moderner Zukunftsplanung aus dem eifrigen Industrieroboter überhaupt ein behutsam zärtlicher, anpassungsfähiger Alltags-Partner werden? Zärtlich? Die Nachfrage ist stark, das Angebot (von Menschen und Maschinen) vorerst oft schwach, scheu, verschämt, unsicher. Ein Experte „Purusha Androgyn Larkin“ (quer wie queer) meint, dass 99% aller Menschen zu wenig Zärtlichkeit geben und bekommen, dass sie „nicht nur ausgehungert sind nach Berührung, sondern auch nach Extase“ (Mark Thompson: Lederlust, Berlin 1993, S. 349). Aus lauter Angst vor Missbrauch bekommen Kinder häufig kaum noch Zärtlichkeit. In seinem „Lexikon der Liebe“ veranschaulicht Ernest Bornemann, wie Kinder schon im Alter von vier Jahren und teils früher eine rein spielerische Anwandlung von Erotik ausagieren möchten, harmlos für sich selbst. Da werden viele buchstäblich allein gelassen.

Mit einher geht ein Reflex: Kinder mögen Kuschelpuppen und –tiere. Sie legen Märchenhaftes hinein und lieben so ein auf das Leben vorbereitendes „Partnerspiel“. Immer schon hätschelten sie ihre „Lieblingspuppe“, ihren eigenen Teddybär. Aber die Zukunft bringt neue Herausforderungen mit sich. Welche Rolle können die mit KE (Künstliche Emotion) gefertigten Kuschel-Partner übernehmen? KE kann industriell daran orientiert werden, womit Kinder gerne spielerisch und fantasievoll umgehen.

Körperlich und gefühlsmäßig anschmiegsame Kuscheltiere ergänzen den Spieltrieb von Kindern seit Jahrtausenden. Ergänzen! Umsicht ist unverzichtbar. Kinder mögen am liebsten, wenn Familienmitglieder Zeit, Nähe, Einfühlungsvermögen, Gespür für Gefahren bis hin zu Spieltrieb mitbringen. Dann können moderne Spielzeuge eine gute Ergänzung sein – wenn sie kommunikativ geeignet sind.

Es wird in Zukunft weiter Lernphasen und Übergangsprobleme geben – wie schon immer bei Beziehungen. Dafür ist wichtig, wie gut Familien, lokale Gruppen und schließlich globale Strukturen miteinander auskommen. Wie gut das gelingt, wird von der Zuwendung abhängen, welche von Menschen dort ankommt und von dort wieder zu Menschen zurückkommt.

Der Teufel steckt im Detail. Mich hat die Nächstenliebe, die der Teufel bekommt, nie überzeugt. Kein Wunder, wenn er sich schlecht benimmt, sodass wir Menschen Schwierigkeiten haben. Der moderne Mensch bringt eine Menge Abenteuerlust mit, aus dem Urwald seiner Vorfahren, hinein in Labore, Werkstätten – und Parlamente aller Art. Er will eine Zukunft mit Gottes Wille und des Teufels Ideen. Einen dafür zupackenden Reflex haben „ganz natürlich“ allerlei gute und böse Populisten. Eine Moderne Demokratie muss damit entschlossen zupackend umgehen.

Dazu meinte Karl Valentin: „Früher war alles besser, auch die Zukunft!“ Ihm hätten die bisherigen, munter-innovativen Zukunftswerkstätten zu speziellen Anliegen bestimmt gut gefallen. Durch das aktuelle Corona-Virus werden wir gezwungen, plötzlich mit starken Veränderungen verantwortungsvoll umzugehen – genau das Richtige für anstehende Klima-Krisen. Dazu gilt es die von Robert Jungk erfundenen Zukunftswerkstätten ganz in seinem Sinne dynamisch weiter zu entwickeln.

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