Die Zukunft hat schon wieder begonnen – mit China
Artikel von Philipp Sonntag für das Netzwerk Zukunft vom 1.11.2021
Ante scriptum
Zum Ende des II. Weltkrieges erschien mir im Alter von sechs Jahren meine Zukunft als unsicher, chaotisch, bedrohlich. Als ich endlich das Lesen gelernt hatte, da wurde: „Die goldene Truhe, chinesische Novellen aus zwei Jahrtausenden“, zum Wegweiser in die Zukunft. Mein „Zauberwort Wohlwollen“ bekam anschauliche Vorbilder. Dafür musste ich mir selbst keinen „Glauben“ mit Blasphemie über Götter reinprügeln. Inzwischen weiß ich, die Gottesnähe des christlichen Kirchenvaters Augustinus kann mich jederzeit entzücken, so wie die russische Seele, so wie die märchenhafte Schönheit unseres Planeten.
Allerdings ist die Rolle des modernen China für uns neu und ungewohnt. Medien berichten kritisch über China. Das kann eine Art bürgerlicher „Alltags-Rassismus“ sein. Wie jedoch aktuelle Klima-Konferenzen zeigen, nur zusammen mit China können wir existenzielle Gefährdungen überstehen. Ähnliche Herausforderungen wurden bereits 1952 in einem Buch deutlich:
Robert Jungk: „Die Zukunft hat schon begonnen“.
Er schrieb es als „sachbuch ro ro ro“, um die Gesellschaft“ aufzurütteln. Er beklagte, dass er mit seinen Reportagen die Leute mehr erschrecke und lähme, als zu Taten bewege. Er schrieb „gegen die Maßlosigkeit, die jeder modernen Zivilisation droht …“. Er versuchte daraufhin, wenigstens Hoffnungen zu wecken.
Immerhin, bei ein paar sensiblen Zeitgenossen – und weiter bis heute – stieß er auf Resonanz. So fordert unser Mitglied Lutz von Grünhagen „die große Transformation“ als psychische Revolution, für ein zupackendes Bewusstsein des Menschen. Das geht in Richtung von Mitgefühl als Massenphänomen, welches dann demokratisch zu Veränderungen führen soll. Lutz nennt geeignete „Werkzeuge“, wie Zukunftswerkstätten, eine in der Praxis bewährte Erfindung von Robert Jungk zum Austausch und zur Abstimmung von Interessen. Dafür gibt es Handbücher.
Global besteht durchaus ein Bewusstsein für Transformation – jedoch keineswegs immer demokratisch. China beispielsweise organisiert sich bewusst als ein Land mit starken Veränderungen, auch starken Massenphänomenen. Die Vorgehensweise wird dabei durchaus aus langer, teils märchenhaft guter Tradition heraus bestimmt – auch wenn wir manches erschreckend finden. Aber wie sollen wir mit China umgehen?
Unser Umgang mit China
Eine Fülle von Zukunftsentwicklungen Chinas betrifft uns in Europa. Die hiermit verbundenen, entscheidenden Fragen sind schwer zu beantworten. Für uns wichtig ist, sie überhaupt erst mal zu stellen: Was bedeutet die aktuelle atomare Aufrüstung Chinas, die klar über ein „Minimum Deterrent“ á la de Gaulle hinausgeht? Ist die Seidenstraße ein märchenhaftes Angebot? Sollte die NATO etwas anderes sein, als „nur“ eine „North Atlantic Treaty Organization“? Wir liefern Maschinenbau – züchten wir uns da eine Konkurrenz? Welche Art Menschenrechte sind wie zu beachten? Sind wir im Umgang mit dem Klima umständlich bemüht. Wären hingegen die Chinesen potenziell weitaus effektiver? Insgesamt, wir wissen: Bei der Umsetzung ihrer Vorhaben können Chinesen durchaus rigide sein – für uns abschreckend, oder gar vorbildlich?
Das Reich der Mitte
Für ein Verständnis der Zukunftsaussichten Chinas ist das Selbstverständnis der Nation grundlegend. China betrachtete sich in den letzten Jahrtausenden immer schon als das „Reich der Mitte“, als die herausragend zivilisierte Gesellschaft. Dazu gehörte selbstverständlich eine Überlegenheit in den gesellschaftlich relevanten Bereichen, sei es nun in Kultur, Verwaltung, Militär, oder Wirtschaft. Dabei gab es auch in China Machtkämpfe mit kriegerischem Chaos. Im Bewusstsein waren klare Vorstellungen über eine Ethik, die den Menschen auszeichnen soll.
Die Chinesen versuchten zu erkunden, ob es irgendwo eine vergleichbare Kultur geben könne. Der Seefahrer Zheng He hat im 15. Jahrhundert Entdeckungsfahrten unternommen. Er war Admiral einer Ming-Armada von bis zu 300 Schiffen mit insgesamt 30 000 Mann Besatzung. Seine Flotte umschiffte unter anderem Afrika und gelangte fast bis nach Europa. Das Fazit für die Chinesen: Es gibt überall Zivilisationen, aber diese sind primitiv.
Ein Verlust der Mitte für nur einhundert Jahre
Vorübergehend wurde dieses Selbstverständnis eingeschränkt, durch eigene Unterlegenheit im militärischen Bereich: Der Erste Opiumkrieg war ein bewaffneter Konflikt zwischen Großbritannien und dem Kaiserreich China der Qing-Dynastie, der von 1839 bis 1842 ausgetragen wurde. Er hätte ganz anders ausgehen können, nämlich vereinfacht gesagt: Wenn die Erfindung von Sprengstoff in China nicht für Karneval, sondern für Waffen genutzt worden wäre! Das wurde „versäumt“, wozu auch, wenn man sich „sowieso“ überlegen fühlt.
Ebenfalls bitter war hundert Jahre später eine mörderische Invasion Japans in China. Japan hatte etwa 50 Jahre früher als China mit einer Modernisierung begonnen und 1904/1905 überraschend einen Krieg gegen das zaristische Russland gewonnen. China war gegen Japan nicht ausreichend gerüstet. Aber dann:
„Die Beziehungen zwischen Deutschland und China waren vor dem II. Weltkrieg Krieg sehr gut. Deutsche Militärberater (beispielsweise Hans von Seeckt) unterstützten die Modernisierung der chinesischen Armee und bildeten Truppen aus, welche die späteren Elitetruppen der chinesischen Armee wurden. Ein Großteil der Waffen wurde aus Deutschland importiert. Zu Beginn des Krieges hoffte China, dass Deutschland Japan Einhalt gebieten oder zumindest sich bemühen würde, die militärischen Maßnahmen abzuschwächen. Das nationalsozialistische Deutschland hatte sich jedoch auf Japan als aussichtsreicheren Bündnispartner festgelegt. So erkannte Deutschland Ende 1937 Mandschukuo als Staat an.“
Nach dem II. Weltkrieg kam es im Rahmen des chinesischen Bürgerkrieges zur Gründung von zwei chinesischen Staaten:
- Zum einen durch die Befreiungsarme der Kommunisten zur Bildung der großen „Volksrepublik China“, mit langer Tradition, in Ostasien,
- Zum Anderen durch die Kuomintang zur Bildung der „Republik China“ auf der Insel Taiwan.
2021 will die „Volksrepublik China“ nach wie vor den Inselstaat Taiwan übernehmen und in das eigene Territorium eingliedern mit der Behauptung, die Mehrheit der Taiwanesen sei für so eine „Wiedervereinigung“. Das zeigt, China hat keine Scheu, Fake-News einzusetzen, denn die Mehrheit der Taiwanesen will, gemäß aktueller Umfrage, nach wie vor unabhängig bleiben und hofft auf Schutz durch die USA.
Warum greift China auf solche Falschmeldungen bzw. Fake-News zurück? Intern labil oder extern aggressiv, oder beides? Wobei China Veränderungen zügig in Gang bringen kann, immer stärker auch global. Die Gestaltung der Zukunft verlangt offenbar auch China unterschiedliche bis widersprüchliche Verhaltensweisen ab.
Der Versuch selektiver Dominanz
Es fällt auf, was China alles gezielt aufgreift, und was nicht. China sieht sich im Selbstverständnis als herausragend stark. So schafft es China aktuell durch rigorose Maßnahmen Corona effektiv einzudämmen. Das gelingt insb. durch Lockdowns von ganzen Millionenstätten, so wie Ende Oktober 2021 in Lanzhous.
Ein ähnlich konsequentes Vorgehen gegen Atomwaffen wäre global sensationell – und grundsätzlich machbar. Stattdessen rüstet China derzeit so auf, dass ein lokales Übergewicht mit Atomwaffen entstehen kann, zugleich droht es Taiwan in das eigene Reich einzugliedern.
Auch gegen starke Klima-Veränderungen wären rigorose Maßnahmen an sich naheliegend. Hierbei ist fraglich ob China, wie Russland, „einfach nur“ leichtsinnig risikobereit ist, indem CO2-Neutralität erst für 2060 angestrebt wird. Zu aktuellen „Umweltsünden“ zählen zum Beispiel eine Menge neuer Kohle-Kraftwerke. Fraglich ist auch eine Politik, welche für Familien, im Gegensatz zu früher, jetzt wegen den Renten offiziell drei Kinder fordert. Allein das kann enorme KIima-Veränderungen bewirken, die durch spätere Maßnahmen nicht mehr rechtzeitig auszugleichen sind.
Die chinesische Verwaltung kann also bei vielen Themen stark durchgreifen. Wenn das misslingt, dann bleibt China innenpolitisch immer noch stabil. Allerdings bewirken Engpässe und Verschmutzungen durchaus wirtschaftliche, gesundheitliche und generell soziale Probleme – und enorme Kosten.
Die Privatwirtschaft soll freier sein als im Kapitalismus, aber dennoch jederzeit beschränkbar. Alles kann in China stark sein, Korrekturen, Nebenwirkungen, Worte, Xi Jinping. Er musste mit starker Hand durch eine Anti-Korruptions-Aktion die Effektivität der Verwaltung von China stärken. Bis 2035 soll „sozialer Wohlstand“ erreicht werden. Ganz real hat die Internet-Firma Tencent verkündet, sie werde jetzt über 13 Milliarden Euro für soziale Projekte bereitstellen.
Was bei uns gerne als Soziale Marktwirtschaft bezeichnet wurde, gibt es ähnlich in China: Kommunistischer Dirigismus greift in die nach wie vor bewusst tolerierten, quasi-kapitalistischen Unternehmens-Freiheiten ein. Eingriffe führten zu starken Schwankungen, so bei fehlendem Strom, so bei einer Wohnungsbau-Gesellschaft wie Evergrande, so bei Internet-Firmen wie Ali Baba. Pragmatisch geht es bei Eingriffen des Staates um eine starke und stabile Struktur für die Zukunft. Sogar Ali Baba sagt, da soll die chinesische Gesellschaft einiges aushalten, um zukunftsfähig zu werden.
Solche Prozesse versuchen wir in Europa im Namen von Demokratie diskussionsfreudig zu steuern. Allerdings bräuchten auch wir für starke Veränderungen mehr Durchsetzungsvermögen. Interessant sind die Unterschiede bei massenhafter Überwachung mit moderner Technik, mit Kameras, mit KI, mit laufender Aushöhlung von Datenschutz bzw. Persönlichkeitsschutz. Offenbar geht China unbefangener in seine Zukunft. Es verändert die Rollen seiner Bürger in allen Bereichen des Lebens. So wird dynamische Effektivität mit dem Risiko von gesellschaftlichen Schäden und Unruhen verbunden. Im „Wettbewerb der Systeme“ ist das für uns eine Herausforderung.
Bildung und Aufbau
Eigentlich war China über Jahrhunderte hinweg ein Land mit hervorragender Bildung und mit sorgfältigen Auswahlverfahren. Das geschah durch interdisziplinär beachtliche und strenge Prüfungen in Peking, um die Besten landesweit für die wichtigsten Posten im Staat zu gewinnen. Erfolgreich! Nun ist das längst vorbei und es gibt ganz neue Ansätze und Herausforderungen. Aktuell wurde ein starker Markt für E-Learning erst aufgebaut und jetzt weitgehend zerstört. Nachhilfe für Kinder unter sechs Jahren ist verboten. Motto: Die Zukunft soll nicht mit überhöhter Geschwindigkeit, nicht mit allzu schnell selbstständigen Schülern aufgebaut werden. Dennoch will man bessere Ingenieure, bessere Verwalter usw. bekommen.
Zum Vergleich: Ganz andere Probleme haben und verursachen politisch „halbstarke“ Staaten weltweit, die mit rigorosen Umgangsformen, jedoch oft ohne klare Ziele agieren. Auch in Europa. Zum Beispiel hat Ungarn den Kulturbetrieb eingeschränkt und die Schließung von Universitäten angeordnet.
Wer kann überhaupt auseinander halten, wo es sich in anderen Weltregionen um Struktur zerstörende Gewalt und Korruption handelt, und wo um strukturellen Aufbau mit menschenwürdigen Zielen wie Frieden, Arbeit oder Zukunftschancen in Richtung sozialer Gerechtigkeit? Die Seidenstraße versucht beides zu sein!
Welche Rolle können wir dabei spielen? Das ist ein Thema für die Vereinten Nationen und bei den Nicht-Regierungs-Organisationen. Die Interpretations-Versuche von Politologen sind schwierig, weil es fällt uns schwer zu fragen: Ist die EU beispielsweise im Umgang mit Polen und Ungarn de facto „krankhaft edel“? Sowas kann nur eine Lachnummer sein für Chinesen. Sie hatten bereits in ihren Märchen im Grunde „Menschenrechte“, sauber formuliert, schon lange vor Bibel und Koran. Der praktische Umgang allerdings war in China problematisch wie bei uns. In den Märchen war das auch nicht hat anders.
Blick von China auf die Strukturen der Macht in Deutschland
Global gilt, nach einigen schlechten Erfahrungen: gewagte wirtschaftliche Investitionen müssen durch hohes Eigenkapital abgesichert werden. Der chinesische Staatskapitalismus ist da besonders konsequent. Die USA haben hohe Schulden bei China. Das ist eine gute Zukunftsvorsorge für China, es eröffnet bessere Möglichkeiten, Sanktionen zu diktieren.
Was bedeutet das für Deutschland? Wir bleiben locker, es würde schaden, den Export von moderner Technik generell einzuschränken. Die bisher erfolgreiche Strategie ist, zum Beispiel bei Mikrosystemtechnik, sowohl als High-Tech als auch bei der breiten praktischen Nutzung: Deutschland fördert stark im eigenen Land, um einen Vorsprung zu behalten, braucht aber auch starke Abnehmer wie China. Weiteres Beispiel: Indem wir Nord-Stream Gaslieferungen aus Russland zulassen und – von unseren Empörungen begleitet – bezahlen, dient das unserer Sicherheit in Europa mehr, als ein strikter Fokus auf Waffen.
Gut wäre ein gemeinsames Rechtsverständnis. Für einen gebildeten Chinesen ist die Behauptung, Deutschland sei ein Rechtsstaat, in dem Menschenrechte besonders grundlegend gepflegt würden, in vielen Details unglaubwürdig. Die Chinesen kennen sehr wohl die frühere Aufbruch-Stimmung am Anfang der kommunistischen DDR. Sie kennen das anfangs über weite Bereiche konstruktiv sozial ausgerichtete Selbstverständnis von DDR-Bevölkerung und -Regierung. Sie kennen eine Art damals real existierende Identifikation mit sozialistischen Werten. Im Westen spricht man ähnlich von „sozialen“, oder „demokratischen“, oder „gesellschaftlichen“ Werten. Von daher kennt man in China die strikte Leugnung solcher DDR-Werte im Westen der BRD, die in der Art von „Kalten Kriegern“ rituell wiedergekaut wird.
Chinesen kennen auch den Ärger, den diese Haltung nach wie vor in den Neuen Bundesländern bewirkt: Wenn von den „beiden Diktaturen“ in Deutschland gesprochen wird, so ist dies für Betrachter wie aus China als politisch gezielte Willkür deutlich: Historisch gab es Massenmord und Grausamkeit unter Hitler, das war tausendmal schlimmer als die gesamte Gewalt durch die DDR. Und doch werden Phänomene wie Stasi, Mauertote usw. in der BRD unverhältnismäßig stärker beachtet, als die Verbrechen der Nazis. Das geschieht in Schulen, bei Gedenkstätten, bei der Finanzierung und Auswirkung historischer Forschung. Niemals wurde die Aufarbeitung des Faschismus nach 1945 ähnlich versucht.
Da kann zwar ein dickes Buch wie „DAS AMT“ über alte Beamte im Außenministerium reihenweise die Verbrecher der Nazis auflisten und entlarven. Das konnte genüsslich unauffällig finanziert werden, weil von vorne herein klar ist, dass das Werk geradezu garantiert ohne Konsequenzen für die Täter bleiben wird.
Entsprechend werden generell im Westen Ermittlungen der Art: „Gab es in den letzten Jahren mehr Unrecht in der DDR oder der BRD (mehr Mauertote oder mehr Morde durch Nazis) mit politischem Instinkt weitgehend vermieden. Sonst hätten wir am Ende Anzeichen für drei „Diktaturen“. Man darf im Westen die wachsende Ungleichheit von Reichen und Armen erwähnen, weil und solange dies kaum Veränderungen bewirkt. China „ersetzt“ die frühere Sowjetunion als „der Feind“. Härten in China sind real, sie werden von uns einseitig betont. Das muss keine Sackgasse sein, denn mit KSZE konnte der Kalte Krieg grundlegend überwunden werden. Das alles weiß natürlich China, lässt sich nichts vormachen und zeigt sich gesprächsbereit.
Kooperationsfähigkeit
Chinesen und Deutsche gewöhnen sich allmählich aneinander. Das geschieht mit beachtlichen Kontakten in geschäftlichen, wissenschaftlichen und touristischen Bereichen. Die Lebensgewohnheiten sind jedoch noch derart verschieden, dass es gemeinsame Diskussionen erschwert. Für Übersetzungen ist es schwer, Worte zu finden, welche Sachverhalte zutreffend vermitteln. Was zum Beispiel sind Fake-News? Ein Beispiel:
Immer schon im Kommunismus, so auch jetzt in China, wird vieles offiziell verschwiegen, obwohl es jeder sieht. Aber wenn es endlich öffentlich erwähnt wird, dann als Begleitung der akut ausgeführten, überfälligen Veränderung. Wer also in China (noch) Verbotenes zu früh erwähnt, der provoziert die Machthaber ganz anders, als hier bei uns. Er nimmt sich Freiheiten heraus.
Ganz anders in Deutschland. Wir haben ganz offen die Freiheit, Streit zu pflegen, Schäden zu nennen – es verändert sich jedoch in vielen Fällen erst mal nichts. Man hat zwar die wertvolle Freiheit, Risiken kontrovers zu diskutieren, aber entlang penetrant wachsender Klimakatastrophen pflegt man politisch unangemessen milde Veränderungen. Fake durch Zeitlupe.
Lebensgewohnheiten sind (fast) immer umstritten. Zum Verständnis des Umgangs mit den Uiguren genügt es nicht, das chinesische Interesse an Bodenschätzen herauszustellen. Die schriftlichen Aussagen verschiedener Religionen sind (fast) immer unvereinbar. Bestenfalls gilt: „Die Religiosität sei ein natürliches Menschenrecht.“ Allerdings allein schon die Vorstellungen und Behauptungen, was ein Gott sei, sind unterschiedlich. Es kann sein, dass der chinesische Blick auf die Willkür von Religionen der Zeit weit voraus ist – wohingegen zugleich die chinesischen Praktiken einer Umerziehung besonders rückständig sind.
Ähnlich ist wirtschaftliche Praxis (fast) immer umstritten. Da genügt es nicht, wenn wir die Seidenstraße als eine Art Lieferando-Geschenk betrachten. Reihenweise haben Nationen entlang des langen Weges erst zu spät verstanden, dass mit der Verlockung chinesischer Investitionen leider enorme Ausbeutungen verbunden sein können. Da resultieren lokal kaum Arbeitsplätze für die eigene Bevölkerung, da gibt es Verschuldung, Verlust der Kontrolle über eigene Häfen usw.
Noch strikter ist China bei der praktischen Eindämmung der Corona-Epidemie. Auch für uns könnte gelten: eine Bevölkerung, die den Sinn solcher Aktionen vermittelt bekommt, ist bereit dafür selbst bemerkenswerte Opfer zu bringen. Hingegen kann unser politisches Hin und Her bei einer Epidemie nur verwirren und erbittern.
Würde China bezüglich Atomwaffen und Klima-Katastrophen mit ähnlicher Hingabe und Konsequenz aktiv, wie bei Corona, dann würde es als ein weltweit zukunftsfähiges Vorbild auffallen. Deutschland hätte nach dem II. Weltkrieg so ein Vorbild sein können und sollen.
Jetzt kann ein gemeinsames Verständnis beider Staaten helfen, Wege in Richtung Chaos zu vermeiden und eine machbar geradezu paradiesische Zukunft anzustreben. Diplomatische Methoden und Einstellungen, wie bei den von Robert Jungk entwickelten Zukunftswerkstätten, können bei globalen Zielen zielführend wirken. Genau das hat Robert Jungk mit seinem späten Buch „Projekt Ermutigung“ betont.